Sportverband, Jugendverband, Sportjugend – typisch Deutsch, Kiki?
Zumindest typisch deutschsprachig, würde ich aus meinen Erfahrungen in der internationalen Sport- und Jugendverbandsarbeit heraus sagen. Die Österreicher haben vielleicht noch die vergleichbarsten Strukturen, dann die Nordeuropäer – aber schauen wir doch einmal in Deutschland genauer hin.
Gerne! Erklär uns doch bitte einmal die Schnittstellen und Unterschiede.
Sportverbände kennen wir sicher alle – es sind die Zusammenschlüsse von Vereinen, mit gleichen Sportarten oder aus gleichen Regionen. Im Verein treiben Menschen in erster Linie ihren Sport. Doch Vereinsleben ist so viel mehr – Menschen verschiedenster Hintergründe kommen zusammen, haben Spaß, finden Freunde und lernen zu gewinnen und verlieren. Auch bei Vereinsfesten und Versammlungen braucht es Helfer*innen und Personen, die Verantwortung übernehmen, sei es in Ämtern oder in der Organisation. Hier kommt dann auch im Sport die Jugendarbeit ins Spiel.
Jugendverbandsarbeit im Allgemeinen wiederum kann in jedem Bereich der Gesellschaft stattfinden. Es geht um eine sogenannte selbstorganisierte Gestaltung der Freizeit von Kindern und Jugendlichen außerhalb des Schulangebots, um Ehrenamt, um Engagement. Die meisten Jugendverbände in Deutschland sind im Deutschen Bundesjugendring (DBJR) vereint, wie z. B. Pfadfinderverbände, die Feuerwehrjugend, Jugendorganisationen von Naturschutzverbänden.
Und wo kommt jetzt im Sport die Jugendarbeit ins Spiel?
Konkret für den Sport ist Jugendarbeit ein wesentlicher Baustein. Neben den vielfältigen Werten, die der Sport vermittelt, lernen viele junge Menschen auch darüber hinaus Verantwortung zu übernehmen, leiten Sportcamps, übernehmen Ämter und Positionen in Mannschaften und Vereinen. Die Arbeit neben dem Sportplatz und den Spielfeldern ist wahnsinnig wichtig – für die Vereine, Verbände, aber auch und insbesondere für die Gesellschaft. Dass Teilhabe und Engagement auch für die Personen selbst wert(e)voll ist, steht außer Frage. Ein so gutes und geschütztes Lernumfeld wie Sportvereine habe ich selten erlebt.
In wenigen Wochen ist Europawahl - Was hat der Kinder- und Jugendsport in Deutschland mit Europa zu tun?
Europa bringt Menschen zusammen, baut Hürden ab und bedeutet Demokratie und Frieden. Wie man sieht – die europäischen Werte sind denen des Sports sehr nah. Verschiedene Perspektiven und das vielfältige Zusammenleben machen die europäische Gemeinschaft stark. Durch Zusammenhalt können viele Krisen gemeistert werden. Auch im Sport ist Vielfalt gewinnbringend und macht vor allem Mannschaften stark.
Schaut man genauer hin, so trägt Europa auch im Kinder- und Jugendsport dazu bei, dass ebendiese Perspektiven kennengelernt und Brücken gebaut werden können. Durch internationale Wettkämpfe, Turniere, aber auch verschiedenste Sportjugend Austausche innerhalb Europas wird ermöglicht, über den Tellerrand hinauszuschauen, Menschen anderer Nationalitäten und Kulturen kennenzulernen, in ihren Alltag reinzuschauen – und all das durch Bewegung, Spiel und Sport. Der Sport ist die gemeinsame Sprache, das verbindende Element. Ganz im Sinne von „Ich schmeiße einfach einen Ball in die Mitte, Regeln sind bekannt“.
Wie bringt sich konkret die Deutsche Sportjugend hier ein?
Es gibt hunderte, wenn nicht tausende Begegnungen im Jahr von Sportvereinen mit Partnervereinen aus einem anderen Land. Als dsj können wir viele dieser Maßnahmen mit Zuschüssen und Qualifizierung unterstützen. Damit werden sehr viele junge Menschen erreicht, die prägende Erfahrungen im internationalen Kontext machen.
Die dsj ist zudem in zwei multilateralen Gremien aktiv. Dem DNK – Deutsches Nationalkomitee für internationale Jugendarbeit, und ENGSO Youth. ENGSO Youth ist ein Zusammenschluss von europäischen Sportorganisationen auf Breitensportlevel. Für den Leistungssport gibt es verschiedene Zusammenschlüsse auch Fachverbandseben. Es geht in der Arbeit von ENGSO Youth vor allem um das Empowerment und Engagement junger Menschen. Um Nachhaltigkeit, Inklusion und Bewegung. Vereinsleben, die Strukturen und Voraussetzungen hier in Deutschland sind wie eingangs erwähnt sehr einzigartig, sodass dies ein sehr spannendes Netzwerk ist.
Das DNK ist das Gremium für multilaterale Jugendarbeit – also für Jugendarbeit in Europa und der Welt. Im DNK sind drei Säulen vertreten – die dsj, der DBJR (s. o.) sowie die politischen Jugendorganisationen der großen vier demokratischen Parteien (Jusos, JU, GJ und JuLis). Diese drei Säulen beraten über die Jugendvertretung Deutschlands im multilateralen Kontext, also auch in europäischen Belangen, sowie zur UN-Generalversammlung und den G7 und G20 Jugendgipfeln. Wir bringen dort die Perspektive des Sports, bzw. der des Jugendverbands im Sport, ein. Dies ist ebenfalls sehr einzigartig, da in anderen Ländern oft eine Trennung zwischen der non-formalen Bildung und der formalen Bildung existiert – Sport findet in vielen Ländern meistens in der Schule statt, nicht in der Freizeit. Dadurch gibt es natürlich andere Herausforderungen.
Welche zum Beispiel?
Bei den Diskussionen merkt man diese Trennung oft. Denn da, wo wir ganzheitlich über Gesundheit diskutieren, wird Gesundheit in anderen Ländern oft mit dem Zugang zur Krankheitsversorgung bspw. gleichgesetzt. Bewegung und Prävention durch Sport spielen in vielen Ländern weniger eine Rolle.
Für Deutschland kann ich sagen, ist es sehr interessant, die Perspektive und das Wohlbefinden durch Bewegung und Sport auf diese Ebenen zu heben. Sport ist ganzheitlich betrachtet ein so wichtiges Element für die Gesellschaft, das dort definitiv hingehört. Nicht nur, wenn es um Gesundheit geht.
Du selbst konntest in deiner Vorstandsposition in der dsj viele internationale und europäische Erfahrungen sammeln. Berichte uns doch gerne von deinen persönlichen Erfahrungen und was Europa für dich bedeutet.
Puh, da weiß ich gar nicht, wo ich anfangen soll. Die internationalen Erfahrungen haben mich in Gänze sehr geprägt. Nicht nur die Erlebnisse in Europa, sondern auch die außerhalb. Dort wird die Wahrnehmung vor allem nochmal geschärft – was heißt es eigentlich Europäerin zu sein und was ist das Leben in Europa doch für ein unterschätztes Privileg.
Im Einzelnen sind es vor allem persönliche Erlebnisse, bei denen es anfänglich Berührungsängste zwischen verschiedenen Gruppen gab, die mir im Kopf geblieben sind. Man kommt in ein anderes Land, spricht nicht dieselbe Sprache und hat auf einmal gemeinsame Programmpunkte. Da geht es zunächst zögerlich zu. Aber nach einer Bewegungs-, Spiel- oder Sporteinheit sieht die Welt meist anders aus – im wahrsten Sinne des Wortes. Es wurde miteinander gelacht, gemeinsam gewonnen und verloren, man hat einen Weg gefunden zu kommunizieren. Bei den Olympischen Jugendspielen zum Beispiel sind mir die Wettkämpfe in Erinnerung, bei denen es Mixed Teams gab. Nicht nur geschlechtergemischt, sondern Teams mit unterschiedlichen Nationalitäten. Die Art und Weise der Kommunikation – oft non-verbal. Wahnsinnig schön, das zu sehen und wie es Menschen wachsen lässt. Jede und jeder kann durch seine und ihre persönlichen Stärken etwas beitragen.
Solche persönlichen Erlebnisse sind es, die für unsere Gesellschaft unglaublich wertvoll sind. Wenn es Akzeptanz gibt und alle ihre Stärken einbringen können, entsteht Gemeinschaft und gemeinsam sind wir stärker, egal worum es geht. Das vereint uns im Sport und das vereint uns in Europa.
Daher wollen wir durch die internationale Jugendarbeit hier in der dsj auch Zugänge für alle jungen Menschen in unseren Strukturen schaffen. Wir wollen Barrieren abbauen und dafür sorgen, dass sich Menschen begegnen.