Warum du schweigst ist ein Jugendroman über sexualisierte Gewalt im Sport, der besonders auf die Dynamiken innerhalb von Sportvereinen eingeht. Das Buch erzählt die Geschichte von Lena, einer leidenschaftlichen jungen Fußballspielerin, die von ihrem neuen Trainer Charly missbraucht wird. Anfangs ist sie von seinem Engagement beeindruckt, da er sie fördert, sie zur Kapitänin des Teams macht und das Team zu mehr Erfolgen führt. Doch schnell wird deutlich: Charly nutzt seine Machtposition aus.
Gewalt im Sport ist noch immer allgegenwärtig. Laut einer Studie der Wissenschaftlerin Bettina Rulofs von der Deutschen Sporthochschule Köln haben 63 Prozent der Vereinsmitglieder in Deutschland schon einmal Formen von psychischer Gewalt, 19 Prozent sexualisierte Gewalt mit Körperkontakt erfahren. Das sind jedes Jahr Hunderttausende Menschen, häufig Kinder, deren Geschichten meist im Verborgenen bleiben.
Mit seinem neuen Buch Warum du schweigst (erschienen Oktober 2024, Frankfurt, Fischer Sauerländer Verlag, ISBN 978-3-7373-4361-9) greift Martin Schäuble diese Problematik auf und erzählt die Geschichte eines Missbrauchsfalls im Breitensport aus den Perspektiven zweier Jugendlicher. Dabei gelingt es ihm, sowohl unterschiedliche Täterstrategien als auch das Dilemma der Betroffenen und Beobachtenden eindrücklich darzustellen. Der Jugendroman richtet sich zugleich an Erwachsene und dient als literarische Aufarbeitung eines Themas, das in der Gesellschaft und in vielen Sportvereinen noch immer zu wenig Aufmerksamkeit bekommt.
Parallel zu Lenas Seite, zeigt das Buch die Perspektiven von Tim, dem Freund von Lena, der merkt, dass etwas mit ihr nicht stimmt, aber nicht weiß, wie er eingreifen oder helfen soll; und auch die Perspektive des Vereinsvorsitzenden wird aufgezeigt, dessen größte Sorge es ist, den Ruf des Vereins zu schützen und Konflikte zu vermeiden. Seine passive Haltung spielt Charly in die Hände.
Was spiegelt das Buch wider?
Das Buch fängt die oft subtile und dennoch nie unsichtbare Dynamik von Machtmissbrauch im Sport ein. Es zeigt, wie Täter*innen durch ihre Position, das Vertrauen und die Nähe zu den Betroffenen in der Lage sind, diese und ihr Umfeld zu kontrollieren. Durch die Betonung von Unsicherheit, Scham und Angst wird verdeutlicht, warum Betroffene, wie Lena, häufig schweigen. Die Erzählung regt zum Nachdenken darüber an, wie leicht es Täter*innen häufig haben, ihre Machtposition auszunutzen und mehr oder weniger unbemerkt Kinder und Jugendliche zu missbrauchen, und wie schwierig es für Außenstehende ist, zu reagieren, wenn sie Missbrauch vermuten. Doch es zeigt auch, wie Maßnahmen ergriffen werden können, um der Machtlosigkeit vorzubeugen und zu entkommen.
Schäuble stellt damit die schwierige, aber entscheidende Frage: Warum schweigen so viele Menschen in solchen Situationen? Dieses Schweigen – von den Betroffenen, den Zeug*innen, aber auch von Vereinen, die Skandale vermeiden wollen – schafft ein Klima, in dem Missbrauch weiter stattfinden kann.
Wie realistisch ist die Geschichte?
Für den Roman hat Schäuble mit mehreren Betroffenen gesprochen und so aus wahren Geschichten einen fiktiven Roman geschaffen. Doch nicht nur die Geschichten der Betroffenen, auch die verschiedenen Strategien der Täter*innen im Kontext von Machtmissbrauch werden realitätsnah aufgezeigt und decken sich mit den Erfahrungen vieler Betroffener sexualisierter Gewalt im Sport. Beispiele hierfür sind u. a.:
- Grooming (Annäherung): Charly, der Trainer, gewinnt Lenas Vertrauen, indem er sie besonders fördert und sie in den Mittelpunkt stellt. Durch diese Aufmerksamkeit, die zunächst positiv erscheint, schafft er eine emotionale Abhängigkeit und bindet Lena an sich.
- Normalisierung von Grenzüberschreitungen: Charly tarnt seine Annäherungsversuche als normale Interaktionen. Beispielsweise hält er Lenas Hand bei einer Mannschaftsfeier zu lange, und obwohl Lena sich unwohl fühlt, fragt sie sich, ob das nicht vielleicht „normal“ ist.
- Isolierung und Manipulation: Charly isoliert Lena nach und nach von ihrem Umfeld, insbesondere von den Teammitgliedern. Anfangs gibt er ihr das Gefühl, etwas Besonderes zu sein, indem er sie zur Kapitänin macht und sie in Einzelgesprächen besonders fördert. Diese „besondere“ Aufmerksamkeit führt dazu, dass sie sich mehr und mehr von ihren Freund*innen distanziert und glaubt, dass sie nur Charly vertrauen kann. Diese emotionale und soziale Isolierung macht es für Lena schwieriger, sich jemand anderem anzuvertrauen oder den Missbrauch zu erkennen.
Zentrales Themenfeld der dsj: Schutz vor Gewalt im Sport
Die dsj setzt sich intensiv für den Schutz von Kindern und Jugendlichen im Sport ein und hat in diesem Zusammenhang zahlreiche Maßnahmen und Angebote entwickelt, um Verbände, Vereine und Ansprechpersonen im Sport dabei zu unterstützen, sexualisierte Gewalt in ihren Einrichtungen zu verhindern und gleichzeitig Kinder und Jugendliche zu stärken. Das Stufenmodell zur Prävention sexualisierter Gewalt und der Zukunftsplan Safe Sport sind zentrale Programme, die dazu beitragen sollen, Präventions-, Interventions- und Aufarbeitungsstrukturen in Vereinen und Verbänden aufzubauen. Das Buch von Martin Schäuble illustriert die Notwendigkeit solcher Maßnahmen auf eindrucksvolle Weise. Es verdeutlicht, wie wichtig es ist, eine Kultur des Hinsehens und Handelns zu etablieren, um Täterstrategien frühzeitig zu erkennen und zu durchbrechen.
Im Downloadbereich der dsj finden Ansprechpersonen aus Sportvereinen und -verbänden zahlreiche Arbeitshilfen und Materialien, wie u. a. Schulungsvideos, einen Leitfaden zur Erstellung eines Schutzkonzeptes und vieles mehr, welche konkrete Handlungsanleitungen zur Prävention und Sensibilisierung bieten.