In seiner Grundsatzrede vom 28. Oktober 2022 hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier die Zivilgesellschaft in Deutschland dazu aufgerufen, neue Wege zu finden, um der zunehmenden Entfremdung entgegenzuwirken und den Gemeinsinn zu stärken. Der Bundespräsident hat uns alle dazu aufgefordert, eine ehrliche Debatte über unser Engagement für das gemeinsame Ganze zu führen. Dies wollen wir als Verbände der Zivilgesellschaft sehr gerne aufgreifen – denn wir haben jahrelange und umfassende Erfahrungen mit Pflichtdienstleistenden im Zivildienst und jüngeren sowie älteren Menschen, die einen Freiwilligendienst leisten.
Wir sammeln Erfahrungen mit rund einhunderttausend Freiwilligen im Jahr – das ist etwa ein Zehntel der Schulabgänger*innen – die ein ganzes Jahr, mindestens aber 6 Monate, ihrer Zeit in den Zusammenhalt unseres Landes investieren. Das sind mehr Freiwillige, als es in vielen Jahren Zivildienstleistende gab.
Die Erfahrungen mit dem Freiwilligendienst haben auch uns gezeigt, dass Demokratie und Zusammenhalt eingeübt werden müssen. Zentrales Element in unserer Umsetzung der Freiwilligendienste ist dabei die Begleitung durch motivierte Mentorinnen und Mentoren in den Einsatzstellen sowie durch pädagogisches Fachpersonal beim Träger. Nur wenn der Einsatz für die Gemeinschaft eine bereichernde, freiwillige Erfahrung ist, wenn er in den begleitenden Bildungstagen gemeinsam reflektiert wird, wird er sich nachhaltig positiv auswirken und unsere Demokratie sowie das Verantwortungsbewusstsein der Freiwilligen stärken.
Wir teilen die Einschätzung des Bundespräsidenten, dass es „mehr Ideen und mehr Menschen [braucht], die – mindestens einmal im Leben – für eine gewisse Zeit sich den Sorgen ganz anderer, zuvor fremder Menschen widmen“. Die Freiwilligendienste bieten hierfür mit ihren schon etablierten Strukturen genau den notwendigen Raum.
Um einen Freiwilligendienst für deutlich mehr junge und ältere Menschen zu ermöglichen, bedarf es aber der gesellschaftlichen und politischen Unterstützung, damit sich Menschen unabhängig von ihrer sozialen Herkunft und unabhängig von der finanziellen Ausstattung ihrer Familie oder der Einsatzstelle für einen Dienst für die Gemeinschaft entscheiden können.
Das Familienministerium hat vor einigen Jahren die Idee eines „Jugendfreiwilligenjahres“ entwickelt und vorgeschlagen, dass der Bund zukünftig die Kosten für ein angemessenes Taschengeld, die Sozialversicherung, die pädagogische Begleitung und die Fahrtkosten übernimmt. Mit dieser Förderung von ca. 10.000 Euro pro Platz und Jahr könnten wir die Anzahl der Plätze signifikant erhöhen: Unter diesen Rahmenbedingungen könnten sich nicht nur viel mehr Menschen ein Freiwilligenjahr leisten, sondern auch viele neue Einsatzstellen könnten attraktive Plätze anbieten. Anhand von Evaluationen und aufgrund von vielen persönlichen Erfahrungen wissen wir, dass die besondere zeitintensive Form des Engagements in einem Freiwilligendienst vor allem durch die pädagogische Begleitung zum Gewinn wird. Im Ergebnis engagieren sich Menschen, die einen Freiwilligendienst als wert- und sinnvolle Erfahrung reflektieren, im weiteren Lebenslauf immer wieder. Auf das Fundament gelungenen Engagements kann unsere Gesellschaft bauen. Die Stärkung der Engagementbereitschaft kommt einer aktiven Bürgergesellschaft zugute.
Doch es braucht zusätzlich prominente Fürsprache, die sehr klar macht: Ein Freiwilligendienst ist ein starkes Engagement für das Gemeinwohl – genau deshalb ist es gewünscht, dass viele sich so wertvoll engagieren! Nur so wird gestärkt, was alle verbindet und darauf kommt es jetzt an – mehr als je zuvor!
Gerne teilen wir als Verbände der Zivilgesellschaft unsere Vorschläge, Einschätzungen und Erfahrungen, um konstruktiv zu der Debatte beizutragen. Gesprächsangebote für gangbare Wege zum Ausbau der Freiwilligendienste sind uns überaus willkommen.