Fake ist: Tiktok ist die Erklärung für alles

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Jung und Wähler*in in der EU – Ergebnisse der Europawahl (Ein Kommentar von Rebekka Kemmler-Müller)

Die Europawahl ist vorüber, Ergebnisse veröffentlicht. Besonderes Interesse erfährt fast erstaunlicherweise das Wahlverhalten von jungen Menschen. So haben viele der 16- bis 24-jährigen Wähler*innen bei der Europawahl den Grünen den Rücken gekehrt und ihre Stimme Kleinstparteien (Andere: 27 Prozent), der AfD (17 Prozent) oder der CDU (17 Prozent) gegeben. In der öffentlichen Berichterstattung dominiert die Interpretation, die Altersgruppe steche besonders durch die Wahl der AfD heraus, dabei sind sie im prozentualen Ergebnis gleichauf mit dem Gesamtdurchschnittsergebnis aller Altersgruppen. Tatsächlich sind CDU und CSU die einzigen der „etablierten“ Parteien, die bei den jungen Wähler*innen deutlich Stimmen hinzugewinnen konnten.

Grundsätzlich machen Expert*innen Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik verantwortlich. Und immer wieder kommt in der Berichterstattung die mangelnde Präsenz von SPD, Grünen und anderen in digitalen Medien wie TikTok zu Sprache und wird als Begründung für Wahlverhalten herabgezogen. Es ist aber zu bezweifeln, dass die Präsenz einzelner Parteien auf TikTok die Entscheidung der Jung- und Erstwähler*innen mit verschiedenen Bildungsständen und soziodemografischen Hintergründen alleine prägen kann. Dass TikTok die Erklärung für alles ist, ist fake.

Fakt dagegen ist, dass man in Bildung investieren und für kritische Auseinandersetzung Interesse wecken kann. Dazu gehört ganz zentral bei jungen Menschen der Ort Schule, aber auch die außerschulische Arbeit. Für ersteres ist der organisierte Sport „nicht zuständig“. In letzterem Feld sind (Sport-)Vereine und Jugendorganisationen mit über 10 Millionen Kindern und Jugendlichen aktiv. Im gelingenden Fall passiert hier viel: Medienbildung, Demokratieförderung, politische Bildung, stärkende Beteiligungserfahrung und Motivation für Mitgestaltung im engeren Umfeld. Darüber hinaus, Persönlichkeitsentwicklung – natürlich auch im Sport – mit Reflektionsprozessen zu: Wer bin ich, wieviel kann ich, werde ich besser, wenn ich übe, was kann ich nicht, wo kann ich was bewirken? Damit es nicht millionenfach nur zufällig bleibt, braucht der Sektor mehr Unterstützung als bisher der Fall. Und die Rendite der Investition in dieses Feld ist hoch.  

Bitter symbolisch in diesem Zusammenhang bleibt leider das Ringen um die Priorisierung der Haushaltsmittel des Bundes im jugendpolitischen Bereich. Zu befürchtende Kürzungen gerade in den Bereichen, die bestehende zivilgesellschaftliche, stark ehrenamtliche geprägte Strukturen handlungsfähiger in Sachen Jugendbildung und -arbeit machen, sind schädlich. Vor allem wenn das eigentlich erklärte und notwendige Ziel ist, „junge Menschen zu einer aktiven Beteiligung und Teilhabe [zu befähigen], indem ausgehend von [ihren] Lebenslagen junger Menschen die Entwicklung sozialer, kultureller, interkultureller, politischer sowie Gender- und Medienkompetenzen [gefördert wird]. (cf. Präambel KJP). Dazu zählen in Deutschland die Programme Kinder- und Jugendplan des Bundes (KJP) und die Freiwilligendienste.

Und schon nur in Deutschland sind Lebenssituationen und Entscheidungsgrundlagen für junge Menschen komplex. Wenn man einen Blick auf 27 Mitgliedsstaaten in der Europäischen Union (EU) wirft, ist klar, dass alle unterschiedliche kulturelle, wirtschaftliche und soziale Hintergründe haben. Junge Menschen stehen in diesen Ländern vor vielfältigen Lebenssituationen und Herausforderungen, die ihre Entscheidungen und politischen Präferenzen stark beeinflussen.

  • Bildung: Das Bildungssystem variiert stark zwischen den Mitgliedsstaaten. Während Länder wie Finnland und Deutschland duale Ausbildungssysteme und qualitativ hochwertige Universitäten bieten, kämpfen andere mit Bildungsungleichheit und unzureichenden Ressourcen.
  • Arbeitsmarkt: Die Jugendarbeitslosigkeit ist ein weiteres entscheidendes Thema. In Ländern wie Griechenland und Spanien ist die Jugendarbeitslosigkeit besonders hoch, während in Deutschland und den Niederlanden junge Menschen bessere Chancen auf dem Arbeitsmarkt haben.
  • Wohnsituation: Die Wohnkosten sind in vielen europäischen Städten enorm gestiegen, was es für junge Menschen schwierig macht, unabhängig zu leben. Besonders in Metropolen wie Paris, London und Berlin sind bezahlbare  
  • Wohnungen knapp
  • Politisches Umfeld: Die politische Landschaft beeinflusst junge Menschen unterschiedlich. In einigen Ländern gibt es starke Jugendorganisationen und Partizipationsmöglichkeiten, während in anderen der Einfluss von Jugend auf die Politik begrenzt ist.

Wahlentscheidungen in dem Kontext zu treffen und junge Wählerin oder junger Wähler in der EU zu sein, ist keine kleine Challenge. Die Sachlagen für junge Menschen in der EU sind komplex: das Erleben im Bereich Bildung, Arbeitsmarkt, Wohnsituation und politischem Umfeld, im Privaten, die Möglichkeiten der Gestaltung von Freizeit, die Einschätzung von Chancen der Mitwirkung spielen natürlich eine große Rolle bei ihren Entscheidungen. Das kann und muss von Politik für junge Menschen mitgestaltet werden. Es bleibt dabei:  

Fake ist: Tiktok ist die Erklärung für alles ist.

Fakt ist: Investition in Jugendarbeit hilft. Und Sportvereine und -verbände sind Orte für viele junge Menschen, die hier soziale Integration und Gemeinschaft und Teilhabe – und natürlich Spaß am Sport erleben können.


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