Demokratische Strukturen im Sportverein: Wie können Sportvereine dazu beitragen, demokratische Werte zu fördern und die Teilnahme junger Menschen an Entscheidungsprozessen zu unterstützen?
Viele Sportvereine haben in ihren Satzungen die Werte des Sports verankert: Fairness, Respekt, Teamplay etc. Zudem bekennen sich viele zu den Kinder- und Menschenrechten, wie es auch die meisten Sportverbände machen. Es ist klar, dass die Werte des Sports demokratisch sind!
Demokratische Werte in der Satzung bedeuten aber nicht automatisch, dass der Verein an sich auch nach demokratischen Spielregeln funktioniert. Hier geht es nicht nur um Vorstandswahlen alle zwei Jahre, sondern um die Frage, ob und wie die Vereinsmitglieder an Entscheidungs- und Kommunikationsprozessen im Verein teilhaben können. Und ob die Haltung derjenigen förderlich ist, die in den Vereinen besondere Rollen einnehmen, wie Trainer*innen, Übungsleitende oder Vorstandsmitglieder. Das gilt dann für alle Mitglieder, ob jung oder alt.
Ganz praktisch bieten Training und andere Bewegungs- oder Spielsituationen Anlässe und Potenziale, demokratische Prozesse zu fördern. Entscheidungen können gemeinsam getroffen, Kinder und Jugendliche beim Auf- und Abbau von Spielen einbezogen werden oder sich mit eigenen Ideen und Übungen einbringen. Trainer*innen und Übungsleiter*innen nehmen hier die Rolle als Lernbegleiter*innen ein und zeigen den Sportler*innen Möglichkeiten auf, wie sie die Sporteinheiten mitgestalten oder eigene Ziele setzen können. Eine Voraussetzung dafür ist, dass die Trainer*innen und Übungsleiter*innen Partizipation auch wollen und in gewisser Form Macht abgeben, Vertrauen schenken und ihr Rollenverständnis weiterentwickeln.
Dies hat positive Effekte auf die Kinder und Jugendlichen im Training und darüber hinaus. In einem positiven Umfeld macht Sport mehr Spaß, sie bleiben länger am Ball und es ermöglicht eine gute Persönlichkeits- und Teamentwicklung, was wiederum Teil der demokratischen Wertevermittlung ist.
Die demokratische Teilhabe von jungen Menschen kann, neben dem Training, auch im allgemeinen Vereinsleben selbst über die Einrichtung von „Juniorteams“ gefördert werden. Wenn der Verein transparent festlegt, an welchen Stellen Beteiligung gelebt wird, und junge Menschen feste Rollen und Positionen im Verein erhalten, dann werden sie besser gehört und können sich einfacher einbringen. Bei Fragen rund um Partizipation und demokratische Organisationsentwicklung gibt es zudem Unterstützungsangebote durch die Sportverbände.
Sportvereine können somit sehr gut dazu beitragen, demokratische Werte zu fördern, wenn der Verein sich der eigenen Werte und der Kinderrechte bewusst ist und diese auch im Verein bekannt sind und gelebt werden. Diskriminierung oder gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, wie Rassismus und Antisemitismus, haben dabei keinen Platz.
Europäische Dimension im Sportverein: Inwiefern sollten Sportvereine eine europäische Perspektive in ihre demokratischen Strukturen integrieren, um ein Verständnis für Vielfalt und kulturelle Unterschiede zu fördern?
Sportvereine sind überwiegend ehrenamtlich getragen und selbst organisiert. Ihr Ziel ist es in erster Linie, zusammen Sport zu treiben bzw. ihren Mitgliedern Sport zu ermöglichen.
Sportvereine sind aber auch wichtige Teile der Zivilgesellschaft und damit nicht gesellschaftspolitisch neutral. Sie können entscheiden, sich auch für ihre Werte des Sports im Verein und darüber hinaus in der Stadt oder im Dorf einzusetzen. Ein Weg kann sein, die europäische Idee von Vielfalt, des friedlichen Zusammenlebens, aber auch von demokratischen Aushandlungsprozessen zwischen verschiedenen Gruppen und Ländern in den Vereinsalltag einzubringen. Dies ist aber natürlich abhängig von den Interessen der jeweiligen Vereine und Mitglieder. Die Sportvereinslandschaft ist vielfältig und so finden sich viele unterschiedliche Zugänge zu solchen Themen.
Es gibt aber konkret Vereine, die sich auch mit der europäischen Perspektive auseinandersetzen, vielleicht, weil sie in Grenzgebieten zu anderen Ländern aktiv sind oder weil die Mitglieder das entsprechende Interesse mitbringen. Meist sind es aber die Dachverbände im Sport, die einen solchen Themenschwerpunkt aktiv in den Verein tragen und z. B. selbst an europäischen Austauschprogrammen mit Frankreich, Griechenland oder anderen Ländern teilnehmen oder solche Projekte auch den Sportvereinen ermöglichen.
Partizipation junger Menschen: Welche konkreten Maßnahmen können Sportvereine ergreifen, um die aktive Beteiligung von Jugendlichen an Entscheidungen auf Vereinsebene zu fördern?
Idealerweise verstehen Sportvereine, wie wichtig die Partizipation junger Menschen für die eigenen Vereinsentwicklung und -zukunft ist, und versuchen, die Kinderrechte umzusetzen. In den Kinderrechten sind nicht nur der Schutz von Kindern und Jugendlichen oder das Recht auf Spiel geregelt, sondern auch beispielsweise die Beteiligungsrechte. Und hier geht es nicht um „Scheinbeteiligung“, also die Auswahl des Aufwärmspiels, sondern wirklich um die Frage, wann, wo und wie junge Menschen im Verein wirklich teilhaben können. Wir sprechen dann über Mitsprache in Vereinsgremien, über adäquate, verständliche Kommunikation und direkte Ansprachen, über das Teilen von Wissen bzw. einen transparenten Zugang zu Informationen und natürlich über die entsprechende Haltung der Vereinsmitglieder zu jungen Menschen.
Je früher man die Beteiligung von Kindern im Sportverein lebt und einübt, desto besser wird sie am Ende auch funktionieren. Frühe Verantwortungsübernahme führt im besten Fall auch zu vielen selbstverständlich helfenden Händen und fördert damit Ehrenamt und Engagement.
4. Europäische Jugendprojekte: Wie können europäische Jugendprojekte im Sport dazu beitragen, das Bewusstsein für demokratische Werte zu stärken und den interkulturellen Austausch zu fördern?
Die Internationale Jugendarbeit im Sport gibt es bereits seit vielen Jahren. Sie hat zum Ziel, die Vielfalt und die kulturellen Unterschiede wie auch Gemeinsamkeiten zu leben und zu erfahren. Sport wird dabei als Brücke genutzt, um in Kontakt zu kommen. Und Sport kann auch sprachliche Barrieren überwinden. Wer die festen Spielregeln kennt, kann schnell zusammen Sport erleben und sogar richtig wettkämpfen, ohne die andere Sprache zu sprechen. Solche gemeinsamen Erfahrungen in einer Sache, für die die jungen Menschen brennen, sind viel wert.
Das wusste übrigens um 1920 bereits Walther Bensemann, der sich in der damaligen, nationalistisch geprägten Zeit schon als Europäer verstand und internationale Jugendfußballturniere organisierte.
Über kurze, individuelle Austauscherlebnisse hinaus gibt es auch langfristige Partnerschaften zwischen Organisationen. Hier können dann, aufgrund des gewachsenen Vertrauens und der auch längeren Projektlaufzeit, gesellschaftspolitische Themen langfristig bearbeitet werden. Das weitet den Blick und schafft Verständnis für die unterschiedlichen politischen und lebensweltlichen Umstände – und damit vielleicht auch für verschiedene europäische Perspektiven auf die politischen Themen.
Um den Mehrwert dieser interkulturellen Dimensionen auch für die Vereine zugänglich zu machen, ist die Bayerische Sportjugend gerade dabei, das Themenfeld der Internationalen Jugendarbeit aufzubauen.
Die dsj (Deutsche Sportjugend) unterstützt diese und andere Initiativen und wirbt allgemein für den Aufbau und Erhalt von internationalen Vereinspartnerschaften und entsprechenden Jugendaustauschen. Hunderte von Begegnungen mit und durch Sportvereine und -verbände aus ganz Deutschland finden so jährlich statt.
Europäische Netzwerke: Wie können Sportvereine in Deutschland von europäischen Netzwerken profitieren, um den Austausch von Ideen und bewährten Verfahren im Bereich demokratischer Mitbestimmung zu fördern?
Die dsj ist als Dachverband der Sportjugendorganisationen in verschiedenen Netzwerken auf europäischer Ebene aktiv, z. B. als Mitglied in der Europäischen Sportjugend, der ENGSO Youth (European Non-Governmental Sports Organisation). dsj-Vorstandsmitglied Luca Wernert bringt unser Knowhow ein und gleichzeitig lernen wir von anderen Modellen und Konzepten. Wichtige Themen sind hier Nachhaltigkeit, Beteiligung junger Menschen, Schutz vor Gewalt und Ausgestaltung von für Sportvereine passende Fördermöglichkeiten.
Die Erkenntnisse aus dieser Netzwerkarbeit wird den Mitgliedsorganisationen der dsj zur Verfügung gestellt. Das sind z. B. die Landessportjugenden oder Spitzenverbände.
Darüber hinaus gibt es europäische Förderprogramme, die auch für Sportvereine zugänglich sind. Bei Erasmus+ können sich mehrere Vereine aus unterschiedlichen Ländern zusammenschließen, um gemeinsam an einem Thema zu arbeiten. Diese Förderprogramme sind allerdings nicht so einfach zu beantragen. Rein ehrenamtlich organisierte Vereine können das meist nicht leisten. Aber hier gibt es dann vielleicht lokale Angebote, an denen sie sich beteiligen können. In vielen Kommunen gibt es europäische Austauschprojekte zu bestimmten Themen, die auch für die örtlichen Sportvereine einfacher zugänglich sind.
Der berühmte Blick über den eigenen Tellerrand, er ist immer gewinnbringend, kann die Empathiefähigkeit verbessern und macht meist auch Spaß. Wer erinnert sich nicht gerne an die Austausche mit anderen jungen Menschen in anderen Ländern?!
Quelle: MSJ-Magazin Für die Jugendarbeit im Sport der Münchner Sportjugend (Ausgabe 1 2024)