Kann es sein, dass die deutsche U17 Nationalmannschaft uns bei der Weltmeisterschaft in Indonesien gerade vorgemacht hat, wie diverse Gesellschaft geht? Bedingungsloser Zusammenhalt, auch wenn du als schwarzer Spieler einen Elfmeter verschießt, du kriegst trotzdem einen tröstenden Schmatzer auf die Stirn. Weil wir hier alle gleich sind! Du bist Deutsch, ohne Wenn und Aber.
Finn Jeltsch steht beim letzten Elfmeter da und hebt die Hände, so wie Muslime es bei ihrem Bittgebet tun. Kann es sein, dass er es bei muslimischen Spielern aus diesem Team so gesehen hat? Völlig egal, ob er muslimisch ist oder nicht, vielleicht drückt er so seine Bitte um göttlichen Beistand aus. Bei Muslimen gelernt. Völlig selbstverständlich.
Fayssal Harchaoui, Sohn marokkanischer Eltern, hebt den rechten Zeigefinger, das Zeichen der Einheit Gottes der Muslime und nicht der Gruß des Islamischen Staates (IS). Für seine Spieler keine Frage, sie wissen das und alle umarmen und herzen ihn. Ich will nicht wissen, wie viele, die keinen Kontakt zu MuslimInnen haben, schon bereit waren die IS-Keule zu schwingen. Wer weiß, ob es nicht passiert wäre, wenn die Jungs verloren hätten.
Almugera Kabar, Sohn lybischer Eltern, schlägt sich so emotional auf den "schwarzen Adler" auf der Brust, dass man glauben möchte, dass er dieses Land genauso liebt, wie das Herkunftsland seiner Eltern. Ich wünsche ihm, dass dieses Gefühl erhalten bleibt.
Diese Jungs haben uns vorgemacht, dass es ihnen egal ist, ob sie von ihrem Trainer als Gangster und Schwiegersöhne kategorisiert werden. Das beeindruckt diese Jungs nicht, weil ihre Realität anders aussieht. Ihre Realität ist bunt. Es interessiert sie nicht, woher die Eltern von ihren Mitspielern kommen, weil sie alle hier geboren sind und für Deutschland spielen. Sie wissen, dass sie ohne einander nicht auskommen würden. Sie schätzen, was jeder Einzelne einbringt, denn es hat sie alle bereichert. Alle berichten unisono von diesem unglaublichen Teamerlebnis. „So ein Team habe ich noch nie erlebt“ ruft Fayssal Harchaoui nach dem Spiel in die Kameras. Das glauben wir ihm ohne Zweifel. Denn nur große Teams können in Unterzahl ein WM Finale gewinnen.
Aber auch diese Jungs werden irgendwann erwachsen und realisieren, dass der Traum, den sie in Indonesien erlebten, nicht der Realität entspricht. Wenn sie realisieren, dass Mitspielen, nicht Mitgestalten bedeutet. Wenn sie spüren, was es mit ihnen macht, wenn man sie als Gangster framed und sie stigmatisiert? Wenn sie mal anderer Meinung sind und merken, dass keiner zu ihnen steht und ihre Interessen vertritt.
Was, wenn sie sich entscheiden, für die Herkunftsländer ihrer Eltern zu spielen, weil sie das Gefühl haben, dass sie hier nicht „bedingungslos“ dazugehören? Wie viele Spieler der aktuellen U17 Weltmeister bleiben dann noch übrig?
Ich glaube, dass diese Mannschaft uns nicht nur gezeigt hat, wie es geht, sondern auch, was wir erwarten dürfen, wenn wir es schaffen. Diversity wins!
Der organisierte, deutsche Sport hat, wie alle anderen Branchen der Gesellschaft, die gleichen Herausforderungen: Fachkräfte ausbilden, Abwanderung verhindern und diese langfristig binden. Der deutsche Sport wird alles tun müssen, alle Hebel in Gang setzen, um eine Sportkultur in Deutschland zu etablieren, in der alle seine Sportler*innen sich gesehen, wertgeschätzt, akzeptiert und vertreten fühlen. Das wird nicht leicht, wir werden vieles neu verhandeln müssen, Dinge werden sich ändern, es werden neue Stühle an die Tische gestellt und alte Stühle werden ersetzt. Privilegien teilen ist grundsätzlich leicht, aber schmerzhaft. Keiner hat gesagt, dass es leicht wird. Weltmeister werden war auch nicht leicht, aber es hat sich gelohnt! Glückwunsch und Danke Jungs!
Younis Kamil ist Sportwissenschaftler und Koordinator bei der Türkischen Gemeinde Deutschland im DOSB-Projekt „Bewegte Zukunft“ sowie Vorsitzender des Internationalen SportClub AlHilal Bonn.