Die Deutsche Sportjugend hat im „Mental Health Awareness Month“ Mai, das Positionspapier „Grau ist alle Pandemie – Entscheidend is auf’m Platz”: Das Leben im Sport ist bunt – mental gesund veröffentlicht. Der Fokus liegt dabei auf dem positiven Beitrag, den Bewegung, Spiel und Sport hinsichtlich des Wohlbefindens von Kindern und Jugendlichen leisten kann. Damit einher geht die dringliche Aufforderung, die aktuellen pandemiebedingten Einschränkungen aufzuheben und alle Kinder und Jugendlichen schnellstmöglich und mit Hilfe aller relevanter Akteur*innen wieder in Bewegung zu bringen.
Die beiden Vorstandsmitglieder Henrietta Weinberg und Kiki Hasenpusch haben sich mit dem Thema mentale Gesundheit bei Kindern und Jugendlichen und den Zusammenhängen und Auswirkungen im Sport tiefergehend beschäftigt.
Die empfohlenen Mindestbewegungszeit für Kinder und Jugendliches liegt laut WHO bei 60 Minuten am Tag. Diese Bewegungszeit wurde von vielen Kindern und Jugendlichen schon vor der Pandemie nicht erreicht. Woran liegt das?
Kiki: Dass sich Kinder und Jugendliche auch vor der Pandemie nicht ausreichend bewegt haben, liegt in meinen Augen an zu wenigen gesamtgesellschaftlichen Ansätzen zum Thema Gesundheit. Oft werden Sitzen und lange Bildschirmzeiten als Gründe für den Bewegungsmangel angeführt und sicherlich ist da auch viel Wahres dran. Jedoch kann man diesem mit zielgruppenspezifischen Angeboten zur Bewegungs- und Gesundheitsförderung, aber auch Bewegungsräume in ihrer unmittelbaren Umgebung, wie Spiel- und Sportplätzen, entgegenwirken. Die Bildschirmzeit wird sich auch in Zukunft eher weiter erhöhen als vermindern, insofern brauchen wir Strategien, um junge Menschen durch bewegungsfreundliche Städte, Gemeinden und Kommunen im Alltag zu aktivieren und vor allem mit entsprechenden Angeboten in Sportvereinen zu bewegen.
„Aktuelle Studien zeigen, dass sich 71% der Kinder und Jugendlichen durch die bestehenden Beschränkungen der Pandemie psychisch belastet fühlen. Das sind Zahlen, denen wir durch Sport und Bewegung entgegenwirken müssen!“ Inwiefern können Sport und Bewegung dazu beitragen psychische Belastungen zu minimieren?
Henrietta: Bewegung, Spiel und Sport können über verschiedene Faktoren, wie bspw. die Bildung von Glückshormonen, direkt auf die Psyche einwirken und damit das mentale Wohlbefinden erhöhen. Gleichzeitig wirkt das Sporttreiben im Verein über diverse indirekte Faktoren, welche während der Pandemie zum großen Teil weggefallen sind, auf die Kinder und Jugendlichen ein. Die Gemeinschaft im Sport, das "Wir"-Gefühl sowie das Vereinsumfeld mit seinen Erfahrungs- und Lernmöglichkeiten kann ein bedeutender Lebens- und auch Erholungsraum für junge Menschen sein. Dieses Potenzial gilt es zu nutzen! Entsprechend wichtig ist es, Sport und Bewegung im Alltag mit Hilfe des organisierten Sports zu ermöglichen und zu fördern.
Ihr fordert in eurer Positionierung, Bewegung, Spiel und Sport als wichtigen Baustein für gesundes Aufwachsen junger Menschen anzuerkennen und vor allem auch Vereine in ihrer Rolle zu unterstützen und zu stärken. Wie sieht das konkret aus?
Kiki: Wie bereits angesprochen, bedarf es einer umfassenden Strategie, um Bewegungslosigkeit zu überwinden. Gesamtgesellschaftlich würde dies bedeuten, dass es langfristige, attraktive und aktivierende Angebote geben sollte, zu denen jede*r Zugang hat. Dafür müssen Vereine unterstützt werden, denn oftmals fehlt es an Ressourcen oder Bewegungsräumen. Sportvereine und -verbände sind kreative und zuverlässige Partner, wenn es um Bewegung, Spiel und Sport geht. Sie sollten in ihren Städten, Kommunen und Gemeinden wirken dürfen und bspw. auch in der Stadtplanung gehört werden. Die Etablierung von Bewegungsräumen, der Zugang zu Sportplätzen und –hallen sowie die Unterstützung bei Sportfesten etc., um Mitglieder zu gewinnen, können hier als Beispiele genannt werden.
Im Positionspapier heißt es, dass sich junge Menschen nicht trauen über mentale Herausforderungen zu sprechen. Kann durch die Vielseitigkeit der Werte des Sports und eine Kultur des Hinsehens hier tatsächlich ein Umbruch erfolgen?
Henrietta: Mentale Herausforderungen stellen in vielen Lebensbereichen ein Tabuthema dar, auch der Sport macht da in vielen Bereichen noch keine Ausnahme, Dabei sollte uns dies, in meinen Augen, genauso von der Hand gehen wie ein Gespräch über Sportverletzungen. Jede*r von uns hat irgendwann einmal mit psychischen Hindernissen zu kämpfen und entsprechend gilt es diese zu normalisieren. Die soziale Unterstützungsstruktur und die Werte des Sports können dazu beitragen das Thema zu öffnen, indem u.a. wertschätzend darüber gesprochen wird. Ich denke, dass wir uns hier über entsprechende Sensibilisierung und einen fairen Umgang miteinander ein ganzes Stück entwickeln können und damit vielleicht auch anderen Lebensbereichen vorbildhaft den Weg ebnen.
Das aktuelle Schwerpunktthema der dsj lautet „Grau is alle Pandemie – Entscheidend is auf´m Platz“: Kinder und Jugendliche wieder in Bewegung bringen. Das jetzige Positionspapier bezieht sich auf die mentale Gesundheit. Ist Sport das Allheilmittel gegen die Auswirkungen der Pandemie?
Kiki: Sport ist sicher nicht das Allheilmittel, aber ein sehr, sehr gutes, das zudem in der Gesellschaft breit anerkannt ist. Bewegung, Spiel und Sport haben ganzheitlich positive Auswirkungen auf das Wohlbefinden und damit auf das Leben. Viele Erwachsene haben in der Pandemie zurück aufs Fahrrad gefunden, waren Joggen oder Wandern. Die Lebensrealität junger Menschen sieht etwas anders aus, sie sind abhängiger von den jeweiligen Lebensumständen und haben andere Bedürfnisse. Genau da kann der Sport als Mittel ansetzen. Durch zielgruppenspezifischen Vereinssport kommen junge Menschen nicht nur in Bewegung, sie profitieren auch von der sozialen Kraft des Sports. Durch gemeinsames Bewegen, Spielen und Sporttreiben werden Bedingungen geschaffen, die jungen Menschen, besonders in schwierigen Zeiten, Halt geben können. Diese sozialen Anker, also unsere Vereine und Verbände, sind nun als ‘Heilmittel’ gefragt. Junge Menschen brauchen sich untereinander, gemeinsame Erlebnisse sowie Frei- und Bewegungsräume, um sich zu entwickeln. Sport kann junge Menschen also definitiv dabei unterstützen, die Auswirkungen der Pandemie zu mildern und zu überwinden.
Welche Aufgaben und Ziele verfolgt die dsj, um das Thema „mentale Gesundheit“ und den Beitrag des Kinder- und Jugendsport dabei zu stärken und voranzubringen?
Henrietta: Das Thema "mentale Gesundheit" ist für uns – bei der dsj – im Gespräch um gesundes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen, nicht mehr wegzudenken. Entsprechend betonen wir einen ganzheitlichen Ansatz, wenn es um die Betrachtung der Bedürfnisse junger Menschen im organisierten Sport geht und setzen uns diesbezüglich für eine offene Diskussion ein. Wir wollen die dsj als Gesundheitsförderin stärken und die Rolle von Bewegung, Spiel und Sport im Verein sowie die positive Wirkung von Vereinen als Partizipations-, Lern- und Lebensräume im Kontext mentaler Gesundheit gegenüber Entscheidungsträger*innen verdeutlichen. Sport macht Kinder und Jugendliche stark und zwar nicht nur physisch, sondern auch psychisch und kann damit viele andere Alltagsbelastungen abfedern - wenn man ihn lässt.