Chancen und Risiken eines Pflichtdienstes

Quelle: LSB NRW/Andrea Bowinkelmann

Studie der Hertie-Stiftung zeigt mehr Baustellen als Lösungen auf

Die Hertie-Stiftung hat mit einer Studie die Umsetzbarkeit eines Gesellschaftsdienstes untersucht und dabei Vorschläge des Bundespräsidenten aufgegriffen. Vorgestellt wird die Studie am 14. September 2024 auf dem Bürgerfest des Bundespräsidenten, auf dem sich auch der Bundesarbeitskreis FSJ und die Kampagne Freiwilligendienst stärken präsentieren werden.

Die Studie, die dezidiert internationale Erfahrungen berücksichtigt, kritisiert sehr deutlich die Kürzungen im Freiwilligendienste-Haushalt und betont, dass die wirtschaftlichen Unsicherheiten zu einem Verlust von Freiwilligenplätzen führen. Ausführlich betrachtet und begrüßt wird dagegen der von den Freiwilligendienst-Zentralstellen gemeinsam entwickelte Vorschlag eines Rechts auf einen Freiwilligendienst. In der von der deutschen Sportjugend mitentwickelten Vision 2030 finden sich die zentralen Bausteine, die sicherstellen sollen, dass alle Menschen, egal welchen Alters, das Recht auf einen bezahlten Freiwilligendienst haben. Beispielsweise zeigt die Hertie-Studie, dass Freiwilligendienste die non-formale Bildung stärken und weiterer institutionalisierter Beratungs- und Informationsangebote bedürfen, um Menschen unterschiedlicher Milieus zu erreichen. Hier wird u. a. eine stärkere Digitalisierung gefordert.

In Bezug auf die Machbarkeit eines Pflichtdienstes verweist die Hertie-Studie nicht nur auf verfassungsrechtliche Probleme, Widerstände in der Bevölkerung und eine Ablehnung der Arbeitgeberverbände. Sie weist auch auf viele ungeklärte Punkte hin, etwa die Sanktionierung derjenigen jungen Menschen, die sich einem Pflichtdienst verweigern: auf eine unentschuldigte Abwesenheit vom Zivildienst folgte eine bis zu dreijährige Freiheitsstrafe. Alternative Sanktionsmechanismen nennt die Studie aber nicht. Die Vorstellung, dass zwangsverpflichtete Jugendliche vor der Alternative stehen, Kinder im Sportverein zu betreuen oder ins Gefängnis zu gehen, wird weder Eltern noch Vereinsvorstände von ihrer Motivation und Verlässlichkeit überzeugen.

Gleichzeitig empfiehlt die Studie, sich am Wehrdienst zu orientieren sowie als Gesellschaft auf den Kern des gewünschten Pflichtdienstes zu einigen. Dies könne nicht die Bildung junger Menschen sein, sondern der Dienst für die Gesellschaft als solches. Die Bedarfslage und nicht die Interessen der Dienstleistenden sollte entscheidend bestimmen, welcher inhaltliche Schwerpunkt in den Aufgabenfeldern gesetzt werden soll. Gleichzeitig solle der Dienst – ähnlich wie der Wehrdienst mit seinen Schulungen für Reservisten – als vieljährige Verpflichtung ausgebaut werden, um im Dienst erworbene Kenntnisse aktuell zu halten.

„Freiwilligendienste sind Bildungs- und Orientierungsjahre, in deren Mittelpunkt die Interessen und Bedarfe junger Menschen stehen. Gerade deswegen profitieren auch Sportvereine und -verbände sehr von dieser Form des institutionalisierten Ehrenamtes und brauchen keinen Pflichtdienst“, resümiert Julian Lagemann, der die Freiwilligendienste im dsj-Vorstand verantwortet. „Aber die Hertie-Studie beinhaltet viele wertvolle Impulse. Den Forderungen nach einer Digitalisierung und Entbürokratisierung, nach einer bedarfsgerechten Förderung der Freiwilligendienste und einem verbesserten Informationsangebot für junge und ältere Menschen kann sich die dsj vollumfänglich anschließen.“


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