Aus „Forum Kinder- und Jugendsport – Zeitschrift für Forschung, Transfer und Praxisdialog“

Foto: Judo Magazin/Micha Neugebauer

Prävention von Gewalt in pädagogischen Beziehungen im Kinder- und Jugendsport — Wie der organisierte Sport ein sichereres Umfeld werden kann

Die Frage, ob Eltern, Lehrkräfte, Erzieher*innen – kurz: pädagogisch Verantwortliche – Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausüben dürfen oder in bestimmten Situationen sogar sollten, begleitet die pädagogische Theorie und Praxis seit ihrem Beginn. Die Ratgeberliteratur des 18. bis 20. Jahrhunderts empfiehlt Eltern und Lehrkräften verschiedenste Machttechniken, um Kinder dazu zu bringen, Anweisungen zu folgen und Erwartungen einzuhalten. Dazu gehören Demütigungen, das Erzeugen von Angst und ganz selbstverständlich auch körperliche Gewalt mit dem Stock (Rutschky 1980). Noch 1952 urteilte der Bundesgerichtshof, dass „die Zufügung körperlichen und seelischen Schmerzes“ als erzieherische Mittel geeignet und – unter Beachtung von Grenzen – auch gerechtfertigt seien (zit. nach Heinrich 2011, S. 431). Bis weit in die 1980er-Jahre waren körperliche und seelische Gewalt sozial und höchstrichterlich akzeptierte Erziehungsmittel in Deutschland. Diese Normen haben sich wesentlich gewandelt, dokumentiert und vorangetrieben durch das Gesetz zur Ächtung der Gewalt in der Erziehung im Jahr 2000, das Kindern und Jugendlichen das Recht auf eine gewaltfreie Erziehung ohne körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und entwürdigende Maßnahmen bescheinigt (§ 1631 BGB). Gleichwohl haben in den vergangenen Jahren Berichte über Gewaltausübung im Leistungssport in Deutschland, der Schweiz, England, den Niederlanden, aber auch in den Ballettakademien in Berlin, Wien und Zürich das Bewusstsein dafür geschärft, dass die Realisierung dieses Rechts auch 20 Jahre später keineswegs gewährleistet ist. Die Zuspitzung der Beispiele auf Institutionen mit hohen Leistungsanforderungen sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass Gewalt in pädagogischen Beziehungen auch in ganz gewöhnlichen Kitas (Maywald 2019) und Schulen (Avenarius 2014) ein relevantes Phänomen ist – und damit vermutlich auch im Breitensport.

Jede Beschäftigung mit dem Thema Gewalt, insbesondere in der Erziehung, stößt schnell darauf, dass Menschen im Alltag fast immer klar erscheint, ob Handlungen gewalttätig sind. Im Austausch mit anderen erweist sich diese Klarheit jedoch oft als subjektives Urteil. Dies gilt besonders bei nicht-körperlicher Gewalt oder bei mittlerer beziehungsweise niedriger Intensität. Niemand bezweifelt, ob ein*e Trainer*in Gewalt begeht, der*die eine*n Sportler*in schlägt. Aber was ist, wenn ein*e Trainer*in eine*n Sportler*in vor der Gruppe als faul und schwerfällig bezeichnet? Entscheidend in der pädagogischen Praxis ist die immer aufs Neue zu beantwortende Frage: Entspricht mein Verhalten als Trainer*in beziehungsweise das Verhalten, das ich von meinem*r Trainer*in erlebe, dem Gebot der Gewaltfreiheit in der Erziehung? Dies lässt sich im Alltag nur dann sicher beantworten, wenn klar ist, welche Formen von Gewalt zu berücksichtigen sind und welches Verhalten im Trainingsalltag als Gewalt gewertet werden kann – und welches nicht. Die Aufgabe von Prävention ist es, Trainer*innen und Sportler*innen darüber wirksam zu informieren, sie darüber hinaus aber auch in der Sicherung und Weiterentwicklung eines erfolgreichen und wirksamen Sporttreibens ohne Gewalt zu unterstützen.

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Forum Kinder- und Jugendsport – Zeitschrift für Forschung, Transfer und Praxisdialog ist die erste Zeitschrift im deutschsprachigen Raum, die sich explizit mit dem vielfältigen Feld des Kinder- und Jugendsports außerhalb des schulischen Sportunterrichts befasst. 

Ziel der Zeitschrift ist es, einen Praxis-Forschungsdialog und damit das von- und miteinander Lernen und Erfahren voranzutreiben. Alle (auch jungen) Aktiven im Kinder- und Jugendsport haben die Möglichkeit, ihre aktuellen Vorhaben und Projekte in der Zeitschrift zu platzieren, Herausforderungen zu benennen und damit auch in der Wissenschaft auf dringende Forschungsfragen aufmerksam zu machen. Darüber hinaus können Wissenschaftler*innen Forschungsbeiträge einreichen. 

Über zeitschrift_fkjs@dsj.de kann man einen Fach- oder Forschungsbeitrag einreichen oder sich bei Interesse an einem Abonnement melden. 

 


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