Pandemiegeschehen, Flucht, Situation ohne Selbstverständlichkeit von Frieden, komplexe Debatten um Klimagerechtigkeit und Digitalität, Digitalisierung – das alles im Kontext von Demokratiefeindlichkeit – in diese gesellschaftlich herausfordernden Rahmenbedingungen ordnet der im Herbst 2024 veröffentlichte 17. Kinder- und Jugendbericht das Jungsein in Deutschland ein. Derzeit leben 22 Millionen junge Menschen – Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene in Deutschland. Sie wachsen unter verschiedenen Bedingungen auf. Und der Kinder- und Jugendbericht der Bundesregierung soll (alle vier Jahre) Befunde zur Lage der jungen Generation liefern. Anspruch des Berichtes ist es damit, einen Beitrag zum Diskurs über die fachliche Weiterentwicklung der Kinder- und Jugendhilfe und für eine zeitgemäße sowie kinder- und jugendgerechte Politik zu liefern.
Mit seinen rund 500 Seiten und einigen Seiten vorangestellter Stellungnahme der Bundesregierung ist der Bericht v.a. Nachschlagewerk über die Aufgaben und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe. Die Berichtskommission hat umfassend Daten, Berichte und Einordnungen zu den aktuellen Rahmenbedingungen des Aufwachsens, zu Adressat*innen, Strukturen, Angeboten und Auftrag der Kinder- und Jugendhilfe zusammengetragen und reflektiert.
Teil 2 von 2:
(Link zu Teil 1 von 2 der dsj-Kommentierung)
Guter Vorschlag der Berichtskommission: neue Leitlinien für eine verlässliche und vertrauenswürdige Kinder- und Jugendhilfe
Die Sachverständigen der Berichtskommission zum 17. Kinder- und Jugendbericht nennen „Vertrauen“ von Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und Erziehungsberechtigten als unverzichtbares Gut, das für eine hinreichende gesellschaftliche Stabilität bei gleichzeitiger Offenheit für gesellschaftliche Entwicklungsperspektiven zwingend notwendig sei (S. 495). Zudem heben sie „Zuversicht“ als Dimension hervor, zu der eine gut aufstellte Kinder- und Jugendhilfe beitragen muss. Sehr positiv hervorzuheben ist, dass sie auf Grundlage dieser Überlegungen den Vorschlag machen, neue Leitlinien für eine verlässliche und vertrauenswürdige Kinder- und Jugendhilfe zu formulieren. Auch die Kinder- und Jugendarbeit im Sport kann ihr Wirken an den verschlagenen Leitlinien ausrichten, Ansprüche an die Qualität der eigenen Arbeit im Handlungsfeld abgleichen, sich weiterentwickeln und beitragen.
Eine an den Kinderrechten orientierte, verlässliche, Zuversicht ermöglichende und vertrauenswürdige Kinder- und Jugendhilfe zeichnet sich dadurch aus (S. 495 ff.),
- dass sie sich als zuständig für alle jungen Menschen und Familien versteht, aber nicht für alle gesellschaftlichen Probleme:
Die dsj teilt diese Auffassung und sieht sich ebenfalls in der Verantwortung, allen Kindern und Jugendlichen, unabhängig ihrer Herkunft oder sozialen Lage, einen Zugang zu Engagement-, Bewegungs-, Spiel- und Sportangeboten zu ermöglichen. Dabei beziehen sich die Zugänge nicht nur auf die Angebote der Sportvereine. Die dsj setzt sich darüber hinaus für eine ganzheitlich bewegte Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen ein, die beispielsweise Ganztag und Kita miteinschließen. Dabei bleiben wir gesellschaftspolitisch nicht neutral, sondern beziehen Stellung, als Jugendverband und Anwält*innen für Kinder und Jugendliche.
- dass sie sich am Recht auf gewaltfreies Aufwachsen orientiert:
Der Kinder- und Jugendsport ist ein wichtiges Instrument, um Werte wie Fairness, Respekt, Leistung und Teamgeist zu vermitteln. Gewaltprävention und der Schutz junger Menschen sind zentrale Aufgaben der dsj. Die dsj setzt sich aktiv in der Prävention, Intervention und Aufarbeitung für den Schutz vor Gewalt im Sport auf allen Ebenen des organisierten Sports ein. Alle Maßnahmen im Handlungsfeld zahlen auf das Ziel ein, den Schutz vor Gewalt umfassend und flächendeckend im gesamten organisierten Sport bis zur Vereinsebene zu verankern und so letztlich jeden der rund 87.000 Sportvereine zu einem sicheren Ort zu machen. Die Arbeit bleibt ein fortwährender Prozess, der aktuell z. B. im Kontext der Verhandlungen zum UBSKM-Gesetz oder zum Safe Sport Code betrieben wird.
- dass sie verantwortlich ist für Partizipation und junges Engagement fördert:
Die dsj setzt sich aktiv dafür ein, junge Menschen in Entscheidungsprozesse einzubeziehen, zum Beispiel durch die Förderung von Jugendbeteiligung in Sportvereinen. Mit der Förderung aus dem Kinder- und Jugendplan des Bundes werden zahlreiche entsprechen Maßnahmen ermöglicht. Auch in den dsj-Gremien sind verbindlich junge Menschen zu beteiligen und dabei weitere Verbesserungen in der Repräsentanz von jungen Menschen notwendig.
- dass sie ihr Handeln an der Vielfalt des Jungseins und Aufwachsens ausrichtet und offensiv für die Teilhabe aller jungen Menschen eintritt:
Die dsj fördert Integration und Teilhabe aller jungen Menschen im Sport. Neben eigenen Maßnahmen der dsj engagieren sich beispielweise Kinder und Jugendliche in den Mitgliedsorganisationen Deutsche Behindertensportjugend – DBSJ oder Deutsche Gehörlosen-Sportjugend – DGSJ, sowie der in Gründung befindlichen SOD-Jugend und gestalten Angebote mit. Allerdings begrenzen finanzielle und personelle Ressourcen auch in diesem Feld wie auch in der Arbeit zur Förderung der Teilhabe von Geflüchteten oder des Engagements für queere Menschen im Sport usw. die Handlungsfähigkeit.
- dass sie eine verlässliche Infrastruktur für junge Menschen bietet und diese auch einfordert:
Die dsj arbeitet kontinuierlich daran, die Rahmenbedingungen für die Jugendarbeit und Jugendverbandarbeit im Sport zu verbessern, damit junge Menschen stabile und attraktive Rahmenbedingungen vorfinden. Die Kinder- und Jugendarbeit der bundesweit tätigen Sportverbände ist allerdings seit Jahren unterfinanziert. Ein SPORTJUGENDEURO, d. h. einen Euro pro Mitgliedschaft, also 10 Millionen Euro würde die Sportstrukturen in die Lage versetzen, ihren gesellschaftlichen Wert zu erfüllen - durch Einsatz für mehr Bewegung, mehr Teilhabe, mehr politische Bildung, mehr Engagement und mehr Gesundheit. Die Dynamisierung der pflichtigen Förderung im „Kinder- und Jugendplan des Bundes“ ist zudem dringend notwendig.
- dass sie vielfältige Wege beschreitet, eine attraktive Arbeitgeberin zu sein:
Die dsj unterstützt ihre Mitgliedsorganisationen, soweit möglich, qualifiziertes Personal zu gewinnen und zu halten. Sie setzt sich auch auf Bundesebene dafür ein, dass der Weg in Richtung einer bedarfsgerechten Ausstattung der Fördermittel für die bundeszentralen Infrastruktur (Kinder- und Jugendplan des Bundes – KJP) eingeschlagen wird. Aus fachlicher Sicht sieht sich die dsj in der Rolle als Impulsgeberin, um die Qualifizierung von Themen voranzubringen und Netzwerkräume für Fachkräfte der Kinder- und Jugendarbeit im Sport zur Verfügung zu stellen.
- dass sie wissenschaftsbasiert handelt und aufgeschlossen für neue Erkenntnisse ist:
In Kooperation mit wissenschaftlichen Institutionen betreibt die dsj regelmäßige Evaluationen ihrer Projekte, um die Qualität der Angebote zu sichern. Der dsj-Forschungsverbund ist dafür die Austauschplattform für einen Forschungs-Praxis-Dialog und die Zeitschrift Forum Kinder- und Jugendsport ist das wissenschaftliche Leitmedium für den Forschungs-Praxisdialog im Kinder- und Jugendsport in Deutschland. Eine weitere Vernetzung und Kooperation mit Wissenschaftssektoren über die Sportpädagogik/-soziologie hinaus muss für die Weiterentwicklung Ziel sein.
- dass sie die Digitalität begleitet und ihre Potenziale kritisch reflektiert:
Für die dsj und ihre Mitgliedsorganisationen ist die Digitalisierung ein zu gestaltender Prozess, um den Kinder- und Jugendsport und die Kinder- und Jugendarbeit im Sport nachhaltig und kreativ weiterzuentwickeln. Für die Jugendorganisationen im Sport stehen die analoge und die digitale Welt nicht in einer Konkurrenz zueinander, sondern ergänzen sich.
Dabei ist E-Sport ein wesentlicher Teil einer digitalen Medienkultur und in seiner Rolle für die außerschulischen Kinder- und Jugendarbeit in laufender Debatte besonders beachtenswert. Einzelne Projekte zum Umgang mit E-Sport im organisierten Sport laufen bereits und zeigen die Potenziale auch für Vereine in diesem Bereich auf (Medienpädagogik, Kommerzialisierung, Suchtgefahr).
- dass sie eine demokratiestärkende Interessenvertretung junger Menschen ist:
Die dsj versteht sich als Anwältin von Kindern- und Jugendlichen. Daher mischt sie sich in gesellschaftliche Debatten mit Sportbezug ein und bezieht Stellung, ganz im Sinne der beschriebenen Interessenvertretung des §12 SGB VIII. Mit ihrem Handlungsfeld “Sport mit Courage” ist es das Ziel der dsj, Grundlagen für ein demokratisches Grundverständnis und die nachhaltige Förderung der demokratischen Teilhabe zu vermitteln (entsprechend der Jugendordnung der dsj). Um dies zu gewährleisten, setzt die dsj Impulse zu spezifischen gesellschaftlichen Fragestellungen um und erarbeitet Positionierungen zu relevanten gesellschaftlichen Entwicklungen.
Ziel der dsj ist allerdings, weitere Initiativen und Maßnahme im Bereich der Demokratiestärkung und der politischen Bildung anzustoßen. Fehlende Ressourcen sind allerdings ein Hindernis.
- dass sie junge Menschen zu Gestalter*innen ihres Lebens und der Gesellschaft entwickeln, die nachhaltige Entscheidungen treffen:
Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung wird in der dsj als Querschnittsaufgabe sowohl in ihrer Organisation selbst als auch im Rahmen ihrer Aktivitäten und Aufgaben wahrgenommen. Eine Bildung für nachhaltige Entwicklung ist Teil des Selbstverständnisses und mit jedem Handlungsfeld der dsj verknüpft. Nachhaltigkeit und Bildung für nachhaltige Entwicklung sind Teil der Organisationsentwicklung sowie fest im Leitbild der dsj verankert. Für die dsj bedeutet dies vor allem nachhaltiges Denken und Verhalten zu fördern. Sie richtet ihre Entscheidungen bestmöglich an den sozialen, ökonomischen und ökologischen Dimensionen aus und gestaltet ihre Qualifizierungs- und Beratungsangebote für ihre Multiplikator*innen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Diese kursorische Aufstellung mit Sportbezug ist definitiv nicht abgeschlossen. Es gibt weiterhin nicht ausreichend bearbeitete Themenfelder in der Sportjugendarbeit. Dazu wollen wir gerne mit Euch ins Gespräch kommen. Schreibt uns an info(at)dsj.de, auf LinkedIn unter den Post oder kommt zum digitalen Termin „Sportjugend-Politik-Café - 17. Kinder- und Jugendbericht – was will er uns sagen? am 10. Dezember 2024, 15:00 bis 16:30 Uhr [Link zur Anmeldung], an dem wir dann 17. Kinder- und Jugendbericht vorstellen und diskutieren wollen.